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22.11.23

10 Jahre »Die Unsichtbaren«



Heute vor zehn Jahren ist unser zweites Album »Die Unsichtbaren« erschienen.

 
Bei dieser Gelegenheit ist uns eingefallen, dass Hendrik und Philipp damals für die Spex zwei kurze Studioberichte über unsere Erlebnisse im Electric Avenue Studio bei Tobias Levin verfasst haben, die aber leider seit dem Niedergang der Homepage nicht mehr zugänglich sind. Also nutzen wir nun diesen Anlass, die beiden Texte, in denen eine ungeheure Aufregung spürbar ist, auf unserem Blog neu zu veröffentlichen.


(Foto: Pogo McCartney)


Studiotagebuch von Philipp
Veröffentlicht am 22. Juli 2013 auf spex.de

Ich musste ihn falsch verstanden haben, denn als ich Tobias Levin zu Aufnahmebeginn frage, ob nur ich oder auch die anderen beiden das Metronom auf die Ohren bekämen, schaut er mich verwundert an. Unser erstes Album habe ihm zwar gefallen, sagt er, aber es sei ein Rockalbum, das wie ein Popalbum aufgenommen ist. Wir, das sei jawohl klar, wollten jetzt doch ein Rockalbum aufnehmen und die Stooges hätten dafür nun mal auch kein Metronom gebraucht. Das Argument gefällt mir, aber ein wenig verunsichert bin ich schon.
Als erstes Stück entscheiden wir uns für »Es gibt etwas«, ein besonders primitiv nach vorne gehender Rocksong. Auf meinen Wunsch nehmen wir zunächst eine Klick-Version und erst dann eine frei gespielte auf. Beim Betreten des Regieraums spult die Bandmaschine noch zurück. Als dann der erste Take abgespielt wird, vergehen nur ein paar Takte, da drückt Tobias auf Stopp: Groovt nicht!, urteilt er. Wir hören in die nächste Fassung rein: Groovt!, sagt er jetzt zufrieden. Ich frage vorsichtig, ob ich nicht am Ende der Strophe schneller werde. Kein Mensch würde so Musik hören, hält Levin resolut dagegen, und dass ich mir dahingehend ja mal Beatles-Platten durchhören könne.
Zurück im Aufnahmeraum der Electric Avenue geht es jetzt Stück für Stück weiter. Wir haben dabei viel Spaß. Anders als beim ersten Album sind Pascal, Pogo und ich gemeinsam in einem Raum, spielen die Songs im Grunde genau wie im Proberaum oder auf Konzerten, können uns dabei anschauen und aufeinander reagieren: Wir machen gemeinsam Musik, produzieren nicht bloß Einzelteile. Bei der anschließenden Auswahl der Takes überprüft Tobias allein den Groove, alles andere sei sekundär. Er sitzt dort wippend und singt: »Now what you hear is not a test, I'm rappin' to the beat« oder in ständiger Wiederholung »Go Brooklyn«. Über jeden Song, der groovt, könne man das singen, meint er ohne jede Spur von Ironie. Aber, falle ich ihm immer wieder ins Wort, da werde das Tempo doch schneller und an dieser anderen Stelle, da werde es wieder langsamer. Bald schon würde ich seine Reaktion auf diese immer wiederkehrende Szene auswendig wissen: Ist das ein musischer Grund, würde er fragen, oder nur deine Eitelkeit? Die Frage weiß ich nicht so recht zu beantworten. Wohl aber erkenne ich die fremden Mächte in mir wirken: die Popakademien des Landes etwa oder die zurecht editierten Schlagzeugspuren in meiner Plattensammlung.
Einer Strategie folgt unsere Arbeitsweise deswegen aber nicht. Lieber überlässt Tobias vieles dem Zufall. Einmal frage ich ihn zum Beispiel, ob das Ride-Becken nicht so eine ähnliche Weite kriegen könne wie auf dem Album Zombi der Band Kante, über das ich ihm schon bei unserer ersten Begegnung reichlich angeschossen gesagt hatte, keine andere Platte auf der Welt sei so gut produziert. Er wisse nicht mehr im Geringsten, wie er das gemacht habe, gibt er mir zur Antwort. Konkrete Arbeitsstrategien, das wird uns immer mehr klar, sind nur gut, um sich nicht an sie zu halten. Und meistens dienen sie ohnehin bloß als Aufhänger fürs Marketing. Wir lächeln gemeinsam über ein Vierspurgerät aus den Sechzigerjahren, das die Musikpresse gerade in Atem hält, dessen Spuren aber letztlich doch digital überspielt wurden.
Und so ist das auch bei uns: Die Platte wird zwar analog aufgenommen, die Spuren gehen danach aber in den Rechner. Die Stücke werden zwar live eingespielt, erhalten im Nachhinein aber zusätzliche Overdubs, insbesondere rhythmische Elemente, die unser Freund und seitheriger Liveperkussionist Manuel Chittka einspielt. Nachträglich erstellen wir außerdem für den Anfang des Stücks »Tollwut« einen Loop, der die Gitarre eigentümlich ins Heulen bringt und der überhaupt ganz schön spaced out klingt. Als rohe Liveaufnahme können wir die Platte also wohl nicht anpreisen.
Trotzdem menschelt das Album nicht nur; gelegentlich holpert es geradezu. Gleichzeitig enthält es seltsame Klänge, deren Herkunft wir zum Teil selbst nicht mehr richtig benennen können und die meistens Tobias' Einfälle sind. Für das Stück »Neonlicht« zum Beispiel stehen Manuel und ich in der leeren Westwerk-Halle. Ich halte ein längliches Stück Blech in der Hand, das ich hin und her biege und das währenddessen von Manu mit Schlagzeugbesen bearbeitet wird. Das Artifizielle und das Natürliche, sie geben sich auf unserer Platte die Hand. Ein Programm lässt sich daraus nicht formulieren.
Die Phase zwischen Aufnahme und Veröffentlichung ist eine verflixte. Es plagt das Gefühl, dass es Mut braucht, eine unperfekte Platte, die sich zudem nicht mehr über ihre Härte Selbstbewusstsein verschafft, über den Äther zu schicken. Die Platten, die wir über lange Zeiträume immer noch gerne hören, sagt Levin irgendwann, sind die, die ihre Fehler zulassen. Natürlich können wir uns nichts mehr wünschen als das.

(Foto: Pascal Schaumburg)

(Foto: Hendrik Otremba)


Studiotagebuch von Hendrik
Veröffentlicht am 24. Juli 2013 auf spex.de

Bei den Aufnahmen zur ersten Messer-Platte 2012 in Berlin habe ich eine halbe Nacht und einen halben Tag Zeit, meine Texte einzusingen, genau richtig für mich als vollkommen Unerfahrenen: Nicht denken, machen – unter Zwang! Als wir nun unser zweites Album aufnehmen, habe ich mehr als drei Mal so viel Zeit. Mir ist das wahnwitzige Gerücht zu Ohren gekommen, Tobias habe Dirk von Lowtzow mal das Singen verbieten wollen. Ob das stimmt oder nicht, ist letztendlich egal, es hat für mich vor den Aufnahmen zumindest kurzweilige Folgen. Bin ich schon so weit, mit einem Künstler zu arbeiten, der in so viel Musik involviert ist, die mich überhaupt hier hingebracht hat? Gerade, dass Tobias am Anfang bei Die Erde gespielt hat, begeistert mich, macht mich aber vielleicht sogar ein wenig demütig zu diesem Zeitpunkt. Als ich ihm von meiner Begeisterung für diese Band erzähle – an jenem Abend, an dem wir uns nach einem Messer-Konzert im Hamburger Komet das erste Mal begegnen –, wundert er sich, dass wir »jungen Leute« so alte Musik hören. Junge Leute. Einige Jahre jünger als Tobias bin ich schon, aber später werde ich denken, dass in ihm mehr Jugendlichkeit und Elan steckt als in den meisten Künstlern meiner Generation.
Dann geht es los. In den ersten paar Tagen sind die Instrumente dran, die Stimmung ist locker und produktiv, ich hänge mit Tobias hinter der Scheibe ab, wir essen Brotchips und ab und zu, um unsere Geduld zu belohnen, ein paar Maki-Rollen. Wir gucken zu, wie die anderen im weitläufigen Raum hinter der Scheibe ihre Instrumente bearbeiten. Ich fühle mich wie in einem Raumschiff, einem alten Raumschiff, vielleicht dem Millennium Falcon, vollgestopft mit obskuren Geräten, denen man manchmal gut zureden muss und die manchmal auch einen Tritt benötigen, um weiter mitzumachen. Tobias dreht dauernd an irgendwelchen Knöpfen, schiebt Regler nach oben und unten, manchmal nur um den Bruchteil eines Millimeters, so dass man gar keinen Unterschied sehen kann. Wir fliegen durch die zehn Stücke.
Ab und zu habe ich Angst, das Raumschiff könne auf einen fremden Planeten stürzen, meistens bewegen wir uns aber mit einer ziemlich wahnsinnigen Geschwindigkeit durch Raum und Zeit auf unser Ziel zu: Die Unsichtbaren. Es läuft gut. Tobias erzählt mir dabei eine Anekdote nach der anderen. Geschichten, die hier wohl den Rahmen sprengen würden. Während er so von den Künstlern spricht, die mich zum Teil geradegehend inspiriert haben, denke ich, dass Tobias uns ganz genau versteht, dass er uns analysiert hat. So hat Kristof Schreuf auch Tobias besonderen Wert vorgestellt: Sein analytisches Arbeiten. Ich würde behaupten, dass sein Anarchismus mindestens ebenso wichtig ist. Seine Reflexionen und der propagierte Wert des Experiments haben in unserer Zusammenarbeit wohl auch dazu geführt, dass wir uns heute selbst ein bisschen besser verstehen.
Nun ja, und dann beginnen wir mit dem Gesang. Ob ich Lust hätte, nicht in der Gesangskabine einzusingen, sondern neben ihm stehen zu bleiben, direkt am Mischpult. Ich weiß nicht so ganz, was ich davon halten soll, bin mir aber mittlerweile sicher, dass genau das Tobias’ Impulse sind, denen man folgen sollte. Dann probieren wir unzählige Mikros aus, alle mit einer eigenen Geschichte. Am Ende wird es ein altes Gerät von Conny Plank, in das schon Coolio seine Weisheiten gespuckt hat, und ein Live-Mikro von Phil Collins. Die meisten anderen zwänge ich ohnehin in die Knie, sagt Tobias sichtlich amüsiert. Ob das schlimm sei. »Nein, das ist super!«
Und dann sind wir auch schon mittendrin. Tobias greift nicht viel ein in das, was ich da mache, aber er sorgt für ein Gefühl. Für ein gutes Gefühl. Zwischendurch hören wir die erste Young Gods, Joni Mitchell und die Zombie Birdhouse von Iggy. Ich stehe so halb hinter ihm und lasse alles raus, merke, dass mit Zeit und Ruhe Kleinigkeiten eine eigene Kraft entwickeln. Es macht mir richtig Spaß, und Tobias’ Begeisterung macht mich stark, gibt mir das Gefühl, etwas zu können. Er kennt die Sänger und Sängerinnen, die ich gut finde, und heimlich führt er mich weiter von ihnen weg. Wir singen verschiedene Versionen ein, er koordiniert, wie ich meine Kraft einsetzen soll. Oft sitzen wir noch bis spät in die Nacht im Studio. Einmal bringt Tobias mich zu meinem Schlafplatz und das Auto verreckt mitten auf der Straße, hinter einer Kurve, wir versuchen, es über sechs Spuren auf die andere Seite zu einem Parkplatz zu schieben, LKWs rauschen dicht an uns vorbei. Das gehört für mich rückblickend genauso zu den Aufnahmen: dass wir alle Zeit miteinander verbracht haben. Eine intensive Zeit.
Am letzten Tag gehe ich kurz aus dem Raum und höre im Rücken ein paar merkwürdige Laute. Als ich zurückkomme lacht mich Tobias an, er hat ein paar Geräusche eingesungen und springt schon wieder durch den Raum. Wir kommen auf die Idee, da weiterzumachen: Ich singe meinen eigenen Schatten, imitiere mein Echo, erfinde Phantasiesprachen und schreie in eine imaginäre Schlucht. Zurück kommt das Echo eines intensiven Prozesses, einer manchmal fast intimen Zeit, an deren Ende ich ein ganz anderes Bewusstsein bekommen habe über das, was ich da tue. Damit schließt sich der Kreis, nur dass seine Bahn mich in diesem Fall etwas weiter nach draußen befördert hat. So bleibt es dabei: Nicht denken, machen! Diesmal nur mit ein wenig mehr Gelassenheit…