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06.04.21

Hans Nieswandt über »No Future Dubs«

Seit vielen Jahren schon befindet sich »From Disco to Disco« auf der unanfechtbaren Nummer Eins unserer gemeinsamen Tourbus-Ohrwürmer. Aber nicht allein deswegen freuen wir uns tierisch, dass Hans Nieswandt sich bereit erklärt hat, den Pressetext zu »No Future Dubs« zu verfassen. Und weil der Text so schön ist, veröffentlichen wir ihn hier nun in Gänze:


No Future Dubs
von Hans Nieswandt

Es gibt Neues unter der Sonne. Das Neue entsteht – wenn man es recht betrachtet: nur noch, immer – an einer Kreuzung, durch das Kreuzen, Zusammendenken und -führen verschiedener, bedeutender Traditionslinien. Diese Traditionslinien existieren zwar jede für sich genommen oft schon eine ganze Weile, haben in dieser Form des Neuen so aber noch nie gemeinsam gewirkt. Die neueste Manifestation des Neuen kann man nun auf dem Album „No Future Dubs“ hören, den Interpretationen der deutschen Band Messer und ihres aktuellen Albums „No Future Days“ durch den finnischen Produzenten und alten Freund der Gruppe, Kimmo Saastamoinen aka Toto Belmont. Bei den bewussten Traditionslinien, die sich auf diesem großen und äußerst würdevollen Album kreuzen, handelt es sich um Postpunk, Dub und Techno. Hier knüpft ein neues Kapitel in der Erzählung der kulturellen Konstante Dub an.

Über ihre weit zurückreichenden, parallelen Aktivitäten in Hardcore- und Postpunkbands hatten sich Messer-Drummer Philipp Wulf und Kimmo, seinerseits ebenfalls von Haus aus Drummer, kennengelernt und angefreundet, entlang ihrer und in ständigem Dialog über ihre weitere musikalische Reise vertieften sie sich über die Jahre immer mehr in die ästhetischen Möglichkeiten von Dub und Reggae. Es ist ja in der Tat so, dass viele Musiker zu Hause nicht unbedingt die Musik hören, die sie selbst machen (ich zum Beispiel auch: House ist die Music, die ich produziere und auflege, privat höre ich alles mögliche andere, Musik von Monk oder Messer zum Beispiel). So auch die hier beteiligten Protagonisten. Über den Austausch zum Thema Dub und mit der stetig steigenden Produzenten-Expertise von Toto Belmont entstand schließlich die Idee, von einer Auswahl von Messer-Stücken Dub-Versionen anzufertigen. Das 2020 erschienene Messer-Album „No Future Days“ stellte dafür das perfekte Ausgangsmaterial dar, sind die Songs dort doch bereits deutlich transparenter und damit Dub-tauglicher produziert als auf den Vorgänger-LPs. Und doch ist es ein Quantensprung von den Originalen zu den Dubs. Diese fügen dem beschriebenen Charakter der Postpunk/Dub-Amalgame eine dritte Dimension hinzu, nämlich die des Techno. Es entsteht eine Musik, die es so bisher noch nicht gab, schon gar nicht mit deutschen Texten (die hier allerdings kaum noch als Träger von Inhalten oder gar Botschaften fungieren. Hendrik Otrembas Stimme erscheint eher wie ein Instrument, als sei er seinerseits das Geistwesen, das er so oft besingt und das hier nun durch den Klangraum schwebt, schreit und schneidet).

Die Geschichte der gegenseitigen Berührungen und Durchdringungen von (Post)punk und Dub(reggae), die Messer so fortschreiben, ist ruhmreich und reicht weit zurück. Trotzdem war sie stets ein eher marginales Kapitel sowohl der Punk- als auch der Dub-Historie. Doch schon in den frühen Morgenstunden von Punk (dem britischen, weniger dem amerikanischen) war die Präsenz und der Einfluss von Reggae an vielen Stellen evident. Denn beide verbindet ihre entschiedene Haltung als Rebel Music, dadurch erkannten sie sich – vielleicht eher die Punks den Reggae als umgekehrt. Schon Johnny Rotten hörte privat vor allem Dub, wie man weiß. Unter dem Namen John Lydon dann, im Gespann mit Bassist Jah Wobble, etablierte er mit PIL eine der beispielhaftesten Bands an der Kreuzung von Dub und Punk. The Slits, Pop Group, Killing Joke, The Ruts und nicht zuletzt The Clash samt des Mick Jones-Ablegers Big Audio Dynamite – die blühende, britische Musikszene in den frühen 80ern war durchsetzt von Dub-affinen Acts. Wo man auch hinhörte, mäanderten die Echos. In den USA dauerte es länger, bis Dub sich als Einfluss bemerkbar machte, und er war auch nie so stark ausgeprägt wie im UK. Dennoch lässt sich auch die Geschichte von US Hardcore nicht ohne z.B. Bad Brains aus Washington erzählen, die auf ihren Alben immer wieder conscious Reggae- und Dubtracks zwischen den halsbrecherischen Hardcorenummern platzierten. Eine weitere wichtige Band an dieser (und noch ein paar anderen) Schnittstellen wären Blind Idiot God, die auf ihren LPs ebenfalls stets ein paar Dub Tracks hatten – sehr anschaulich lässt sich hier der Kontrast erleben, zwischen den dicht dronenden Rockstücken und den weit atmenden Dub Versionen.

Mit den 90ern ließ der Dub-Einfluss im Postpunk nach, dafür tauchte er an anderer Stelle umso deutlicher auf: Techno war in vielerlei Hinsicht durchlässig für Dub, ganz abgesehen von der Musik des so genannten britischen Hardcore Continuums – Jungle, Drum & Bass usw. –, die sogar unmittelbar aus Dub und Reggae hervorging. Aber auch, wenn man so will, „reiner“ Techno, also Techno ohne Breakbeats, entdeckte seine Affinität zu den Möglichkeiten des Dub schon früh, in England etwa mit Projekten wie Leftfield oder The Orb; nicht zuletzt aber in Berlin, im Dunstkreis des Hardwax-Plattenladens, wo mit Rhythm & Sound ein Projekt entstand, bei dem man gar nicht richtig sagen kann, wo Dub aufhört und Techno beginnt (oder umgekehrt), derart verwoben sind die Stile hier – alles basierend auf dem Steppers-Puls, der die Musiken verbindet wie eine gemeinsame DNA. Mit Dub Techno entstand ein regelrechtes, neues Genre, bis heute gibt es Produzenten, die nichts anderes produzieren und DJs, die nichts anderes auflegen.

Die Messer-Dubs zeichnet eine große Majestätik und Wucht aus, wie sie vielleicht ein Mad Professor in der Lage ist herzustellen, wie sie aber auch vielen skandinavischen Produktionen der letzten 15 Jahre innewohnt; eine glasklare Kristallinität, die sie zwar verhältnismäßig weit von Kingston oder Brixton verortet, dafür mit einem Puls, der deutlich nach Berlin und Helsinki verweist. Die Songs erscheinen in völlig neuer, dekonstruierter Form, die Instrumente finden Verwendung nur noch als Partikel, als Rohmaterial, nicht etwa als Riffs, lediglich die gleißenden Gitarren-Schraffuren füllen als Flächen den weiten Dub-Raum. Viele Elemente hat Toto Belmont komplett neu hinzugefügt, vor allem Synthesizer, aber auch Drums. Alles zusammen entwickelt eine enorme ästhetische Kraft und Würde, und eine Atmosphäre, die man kaum wieder verlassen möchte. No Future, das ist als Verweis auf die Punk-Verbundenheit der Akteure ein gut gewählter Titel; als Stoßrichtung des Albums könnte man sich aber auch durchaus ein Komma zwischen diesen beiden Worten vorstellen.