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27.09.24

»Umwege / Abkürzungen«



Die Geburtsstunde unserer Band fand in einer Sackgasse statt. Nach vielen Jahren im Lärm verzerrter Gitarren wollten wir eine Band gründen, die alles prinzipiell anders machte: Gar keine Gitarren mehr. Beeindruckt von der Synth-Punk-Band The Units, die schon Ende der Siebzigerjahre radikal gegen Gitarren agitierte, aber Konzerte mit den Dead Kennedys spielte, wollten auch wir jetzt eine Punkband ohne Gitarren gründen. Wir hatten Techno für uns entdeckt, pendelten manchmal von Münster nach Köln zur Total Confusion Party und berieten uns auf den Zugfahrten über die Identität dieser neuen Band, die entstehen sollte. Nach zwei Proben im April 2010 in der Besetzung Schlagzeug-Bass-Synthie-Gesang, auf denen immerhin eine frühe Version von „Augen in der Dunkelheit“ entstand, gaben wir das Vorhaben auf. Die Energie, die wir erzeugen wollten, schien sich mit diesem Instrumentarium nicht einstellen zu wollen.

Also zurück zur Gitarre. Informiert von Krautrock und Sonic Youth, fühlten wir uns in der Welt der Gitarre so zu Hause, dass uns nun auf einmal die Songs unseres ersten Albums ganz schnell zufielen. Doch die Idee, unsere neue Band klanglich in jeder Hinsicht geöffnet zu halten, blieb. Schon auf unserer ersten 7“-EP Augen sollte ein Remix enthalten sein. Wir klopften an bei unserem alten Bekannten Florian Pühs, zuvor Sänger der legendären Thrashcore-Band Surf Nazis Must Die und der NDW-Gruppe Herpes und mittlerweile, das hatten wir mitbekommen, am Herumprobieren mit Dubtechno-Tracks. Er produzierte eine Version von „Fieberträume“, für die Hendrik die Vocals noch einmal ruhig gesprochen neu aufnahm.

Ein Jahr später: Für die 7“ zu Neonlicht hatten wir keine B-Seite, weil alle neuen Songs, die wir für Die Unsichtbaren geschrieben hatten, auf das Album sollten. Einen Überhang gab es nicht. Diesmal fragten wir Max Rieger, Sänger und Gitarrist von Die Nerven, mit denen wir damals regelmäßig zusammenspielten. Er war gerade dabei, sein Soloprojekt All diese Gewalt aus der Taufe zu heben. Sein Remix von „Gassenhauer“ trägt schon die charakteristischen Züge, die später auch seine eigenen Alben auszeichnen würden. Eine bemerkenswerte Anekdote: Versehentlich erhielt Max zunächst die Spuren unserer Demoversion des Songs, weswegen sein Remix auch noch in der Endfassung den wesentlich härteren Gesang unseres Demotapes von 2011 enthält, wenn auch die Instrumente gegen die Spuren der Albumversion ausgetauscht wurden.

Für die Kachelbad 12“, den Vorboten zu unserem dritten Album Jalousie, wollten wir zum ersten Mal mehrere Remixe auf einer Platte vereinen. Der Song „Detektive“ schien uns von Anfang an dafür prädestiniert, basiert der ja ohnehin auf einer Four-to-the-Floor-Bassdrum. Schon seit den ersten Releases waren wir Fans der britischen Band Factory Floor, die uns sehr genau vorgeführt hatte, wie der Weg von Post-Punk zu Techno führt. Die Zusage von Nik Void brachte uns komplett aus dem Häuschen, genau wie ihr Remix, den wir wenig später erhielten. Unser damals noch neuer Gitarrist Milek steuerte ebenfalls einen trippy Remix bei, den wir bis heute für einen der besten halten. Elias Lichtblick alias She Has A Cold Cold Heart verlangsamte den Song und exponierte Manuel Chittkas wilden Bongos in einem schleppenden Groove. Vor unserer Jalousie-Tour lieferte Max Rieger dann noch einen wundervollen All diese Gewalt-Remix für „Im Jahr der Obsessionen“ ab, der damals mit einem ebenso eindrucksvollen Musikvideo von Dennis Zyche veröffentlicht wurde.

Eine Runde weiter, für die Digital-Single von „Der Mieter“, fragten wir bei unserem Freund Kimmo Saastamoinen aus Helsinki an. Wie zu den meisten hier versammelten Musikern verbindet uns auch zu ihm eine alte, immer eng gebliebene Freundschaft aus Hardcore-Tagen. Kimmo hatte bereits als Toto Belmont erste Tracks veröffentlicht, unsere Anfrage erschien naheliegend. Seine schnelle Dubtechno-Version von „Anorak“ begeisterte uns. Als die Pandemie ausbrach, unsere Tour ausfiel und sowieso alles brachlag, kam im ohnehin stetigen Austausch mit Kimmo die Idee auf, gleich ein ganzes Dub-Pendant zu No Future Days zu produzieren. Insofern das 2021 erschienene Album No Future Dubs als ein Album in its own right zu begreifen ist, wurde es auf dieser Compilation ausgeklammert. Nicht ausgeklammert jedoch sind die beiden B-Seiten-Tracks „Tapetenhof“ und „Mexiko Air One“, die zusätzlich zum Album entstanden sind. Veröffentlicht wurde die „No Future Dubs“ LP auf dem Hannoveraner House-Label Turnland Records, das von unserem alten Freund Felix Wende alias Felice betrieben wird. Dieser meldete nun sein Interesse an, sich auch mal an einem Remix zu versuchen.

Nun war die Idee zur vorliegenden Compilation geboren: Felice‘ neuer Remix sollte mit allen weiteren ein gebündeltes Digital-Release erhalten. So entstand zugleich Platz für weitere neue Versionen: Schon lange triezen wir unsere hervorragende Fachkraft für Tontechnik, Alexander von Hörsten, der an den Produktionen von Kratermusik und No Future Dubs beteiligt war und auf unseren Konzerten live am Mischpult mit Effektgeräten zaubert, doch endlich einmal seine eigenen Produktionen zu veröffentlichen, an denen er bisher immer nur im stillen Kämmerlein gearbeitet hatte. Mit seiner dubby U-Boot-Version von „Taucher“ gibt er nun also sein überfälliges Produktionsdebüt und deckt die kosmischen Qualitäten des Meeresgrundes auf. Dann sprang unser alter Freund Samuel Savenberg auf: Seine production skills und seine im ästhetischen Sinne nihilistische Fantasie haben wir auf dem Kieker, seit seine großartige Doom-Hardcore-Band Seed of Pain dahinschied und er die musikalischen Mittel wechselte. Klar also, dass seine Fassung von „Oswalth (1 2 3 4)“ uns direkt umwarf. Zuletzt äußerte unsere Freundin Pola Lia Levy vom Duo Dews, sie habe Lust, sich an einer Bearbeitung zu versuchen: Sie zerlegte „Im falschen Traum“, übrigens ein Stück, auf dem sie ohnehin mit Backing Vocals zu hören ist, in seine Einzelteile und komponierte aus ihnen einfach einen neuen Song, für den sie komplett neue Vocals einsang.

Was von uns hochgeschätzte Musikerinnen und Musiker aus unseren Songs machen, wenn wir ihnen freie Hand lassen, schafft uns ein Vergnügen, für das wir all diesen lieben Menschen zutiefst dankbar sind. Wie schlüssig und rund sich die Remixe aus all den Jahren anhören, wenn man sie an ein Stück reiht, ist geradezu ein kleines Wunder. Insofern ist diese Compilation nicht nur das Produkt des komplettistischen Spleens von Archivaren, sondern auch eine Geschichte von Geschenken, die wir in den ganzen Jahren unseres Bestehens bekommen haben, – und ein Dokument unserer freundschaftlichen wie ästhetischen Beziehungen. We’re not in this alone.

— Gruppe Messer im Juni 2024


1. Taucher (Alexander von Hörsten in the Yellow Dubmarine) – new!
2. Im falschen Traum (Felice Remix) – new!
3. Im falschen Traum (Pola X Rework) – new!
4. Oswalth (1 2 3 4) (Samuel Savenberg Remix) – new!
5. Tapetenhof (Toto Belmont) – Digital-B-Seite Versiegelter Dub II
6. Mexiko Air One (Toto Belmont) – Digital-B-Seite Tiefenrausch IIb
7. Anorak (Toto Belmont A No. 2) – Digital-B-Seite Der Mieter
8. Im Jahr der Obsessionen (All diese Gewalt Remix) – Video-only
9. Detektive (Thomas Moebius Remix) – Kachelbad 12" EP
10. Detektive (Nik Void / Factory Floor Remix) – Kachelbad 12" EP
11. Detektive (She Has a Cold Cold Heart Remix) – Kachelbad 12" EP
12. Gassenhauer (All diese Gewalt Remix) – B-Seite Neonlicht 7"
13. Rückfall ins Fieber (Florian Pühs Rework) – Augen 7" EP